Den letzten Arbeitstag bei meiner alten Firma hatte ich Mitte April. Ab diesem Tag verschwand auch die Struktur aus meinem Leben. Den restlichen April und gesamten Mai und Juni tat ich nur, worauf ich grade Bock hatte – und das war auch erstmal vollkommen okay. Doch irgendwann wurde ein Tag wie der andere. Es gab kaum noch erkennbare Unterschiede für mich und meine Motivation mich zu produktiven Dingen, geschweige denn zur Jobsuche aufzuraffen schwand immer und immer mehr. Was dazu führte, dass ich mich so spät um eine Fortbildung über das Arbeitsamt bemühte, dass ich erst zwei Tage nach Beginn mit ihr starten konnte. Das war im Juli.
Der feste Tagesrhythmus und der Fakt, wieder eine Aufgabe zu haben und präsent sein müssen, haben mir richtig Aufwind gegeben. Dieses Gefühl hielt auch danach noch an. Mein Tatendrang und meine Motivation waren wieder komplett on fire und die Corona-Lethargie verflogen.
Nur für mich selbst schaffe ich mir keine Struktur
Eine Sache, die ich schon während meiner Zeit in der Tagesklinik festgestellt habe, mir aber erst zu diesem Zeitpunkt so richtig bewusst wurde: Ich brauche Struktur – und zwar dringend. Ich bin einfach nicht gut darin, mir 24 Stunden frei einzuteilen. Externe Anforderungen geben mir einen Grund, mich zu strukturieren. Nur für mich selbst mache ich das im Prinzip überhaupt nicht. Das war schon immer so.
Wenn sich Freund*innen für 16 Uhr angekündigten, habe ich um 16.01 Uhr die Tür mit Bademantel und Katzenhaarreif geöffnet. “Sorry, ich brauch noch einen Moment, ich hatte noch mega viel zu tun.” Was manchmal stimmte, in den meisten Fällen aber eher eine Ausrede dafür war, dass ich mal wieder viel zu spät mit dem Aufräumen, Putzen oder den Besorgungen angefangen hatte. Das Gleiche ist natürlich auch passiert, wenn ich zu einer Verabredung musste. “Ich komm ein bisschen später, tut mir Leid!” Im beruflichen Kontext habe ich, was das angeht, zum Glück eine deutlich bessere Quote.
An dieser Stelle ein fettes DANKE an meine großartigen Freund*innen, dass ihr das bis heute mitmacht und mich trotzdem liebt. Vielleicht ja auch ein bisschen deswegen?
Ich wollte lange nicht akzeptieren, dass mir Struktur von außen vorgegeben werden muss. “Ich will auch ein Workaholic sein und mich perfekt organisieren können”, ist ein Gedanke, den ich nicht nur einmal hatte und manchmal auch noch habe. Ich tat mich super schwer damit, zu akzeptieren, dass ich ein geringeres Stresspensum aushalte, als andere Menschen und dass ich im klassischen Sinn wohl niemals eine Führungsposition haben werde.
Mittlerweile bin ich der Meinung, dass es nicht cool ist, Workaholic zu sein und der Fokus viel mehr darauf liegen sollte, dass die Arbeit Spaß macht. Das Leben drumherum sollte genauso, vielleicht sogar wichtiger sein, als die Arbeit. Vor allem, wenn man sie für jemand anderen macht.
Struktur ja, aber Step by Step
So schlecht es mir anfangs mit dieser Erkenntnis ging, so gut geht es mir jetzt damit. Es fühlt sich befreiend an, die eigenen Grenzen und Möglichkeiten benennen zu können, nicht mehr wie eine Schwäche. Ich kann eben nicht alles und das ist vollkommen in Ordnung. Dafür kann ich meine Kraft und Energie in die Dinge legen, die mir tatsächlich liegen und für die ich mich nicht erst verbiegen muss, damit sie funktionieren.
Wird der eigene innere Druck zu groß, funktioniere ich auch ohne äußere Einflüsse und allmählich bin ich sogar in der Lage, Termine mit mir selbst einzuhalten und Struktur in mein Leben zu integrieren. Das noch besser hinzubekommen ist die Aufgabe, die ich mir für die nächste Zeit gegeben habe. Mich selbst ernst nehmen und Termine mit mir wie einen Termin mit anderen Menschen zu handhaben. Ich bin gespannt wie das so klappt.
Schreib mir doch mal in die Kommentare, ob du dieses Problem auch kennst und wie du damit umgehst. Das würde mich sehr interessieren!
Titelbild: Photo by Cathryn Lavery on Unsplash