Sein Studium abzubrechen, das macht man nicht leichtfertig. Ich für meinen Teil jedenfalls nicht. Nur so viel vorab: Es war die beste Entscheidung in den letzten Jahren. Aber von vorne.
Nach meinem Abitur wusste ich, wie wahrscheinlich sehr viele junge Menschen, nicht, was ich mit meinem beruflichen Leben anfangen will. Ich hatten keinen konkreten Jobwunsch. Praktika in der Hotellerie, Immobilienbranche und Grundschule haben mir nur gezeigt: Das will ich nicht! Halleluja, größten Respekt an dieser Stelle an alle Lehrer*innen, die sich vor eine Klasse von 20-30 Schüler*innen stellen und denen was beibringen wollen. Das war mir nach einer Woche schon zu viel.
Ausbildung oder Studium?
Also stand ich da mit meinem durchschnittlich guten Abiturzeugnis und sollte etwas neues machen. Damit war ich so dermaßen überfordert, dass ich ein Dreivierteljahr und die Androhung eines Rauswurfs meiner Eltern brauchte, um mich auf eine Ausbildung zu bewerben. Studieren kam für mich aus Gründen, die ich heute gar nicht mehr so genau weiß, nicht in Frage. Ich glaube, ich habe es mir einfach nicht zugetraut und die Studiengänge, die mir zugesagt haben (Germanistik, Journalismus), wurden von meinen Eltern als “perspektivlos” deklariert. Also Ausbildung. Mit Hilfe eines tollen Berufsberaters habe ich mich für die Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation entschieden.
Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte. Schulisch bekam ich alles relevante zum Thema klassische Werbung mit. In meinem Betrieb habe ich als Vertrieblerin gebrandete Arbeitsbekleidung verkauft. Das ist zwar kein klassisches Marketing, wie wir es in der Berufsschule gelernt haben, aber das hat mich nicht gestört. Ich hatte tolle Kolleg*innen und der Kontakt mit den Kund*innen hat mir Spaß gemacht. Außerdem hat mir das ein umfassenderes Verständnis für das Thema gegeben. Behaupte ich jedenfalls. Meine Ausbildung dauerte insgesamt zweieinhalb Jahre. Kurz vor Ende begann ich mir die Frage zu stellen “War’s das jetzt?”. Ich fühlte mich mit meinen 22 Jahren noch nicht bereit dazu, einen Vollzeitjob mit 40 Stunden und 24 Urlaubstagen anzutreten. Also warum nicht doch nochmal studieren?
Welcher Studiengang passt zu mir?
Ich sprach viel mit meinen Eltern, die anfänglich nicht begeistert waren, mich letzten Endes aber voll unterstützten. Das war vor allem finanziell ein wichtiger Aspekt für mich, denn ich hätte keine Option auf BAföG gehabt. Meine Entscheidung stand und ich bewarb mich. Nicht aber auf die perspektivlosen Studiengänge, die mir Spaß gemacht hätten, nö. Ich wählte, auch auf Anraten meines Vaters, etwas solides (schreckliches Wort, oder?). Zu meiner Überraschung wurde ich direkt angenommen. Für BWL. Dazu muss ich noch sagen, dass ich mich weder mit den Studieninhalten, noch späteren Jobchancen auseinandergesetzt habe. Warum? Joar, das ist eine hervorragende Frage.
Mir war zwar bewusst, dass Betriebswirtschaftslehre viel Mathe enthalten würde, wie viel und wie trocken das ganze dann letzten Endes sein würde, merkte ich erst im Laufe des ersten Semesters. Ich war schon immer eine Niete in Mathe und kam nur mit Nachhilfe und netten Lehrer*innen durch die Schulzeit. In der Uni interessierte es allerdings niemanden, ob ich unabhängig vom Lösen linearer Gleichungen ein netter Mensch bin.
Erstsemester – Alles neu, alles aufregend
Zu den Klausuren kam natürlich noch der Aufbau eines neuen sozialen Umfelds. Neue Bekannte/Freund*innen finden, Studierendenpartys feiern und Lerngruppen gründen. Auch das ist Arbeit, auch das ist anstrengend. Das war mir bis vor einer Weile nicht bewusst. Aber so ist es. Vor allem, wenn man wie ich gerne von jedem gemocht wird und ein Problem mit Ablehnung hat. Deshalb lege ich meinen Fokus oft zuerst auf zwischenmenschliche Dinge und danach auf die sogenannten wesentlichen Dinge.
Dieser Fakt hat mir zwar insofern geholfen, dass ich problemlos an fehlende Unterlagen kam oder meine Kommilitonen sich nochmal extra mit mir zusammensetzten, um mir Sachen zu erklären, die ich nicht verstanden hatte, die Klausuren konnten sie aber nicht für mich schreiben. Eins kam zum andern und ich rasselte kläglich durch die Matheklausur. Die anderen bestand ich zwar, aber der Weg dorthin war so dermaßen anstrengend, dass ich in den ersten Semesterferien erstmal fünf Wochen Urlaub in Asien brauchte, um wieder runterzukommen.
Das zweite Semester – Wozu das alles?
Als das zweite Semester begann, war die Erholung instant verflogen. Zu sechs neuen Kursen musste ich zusätzlich nochmal Mathe belegen. In Summe also sieben – juchu! Ich war komplett überfordert und zweifelte an allem. Immer öfter stellte ich mir die Frage, die ich mir vor Beginn des Studiums hätte stellen sollen: “Wofür mache ich das überhaupt?” On top kiffte ich noch wie ein Schlot. Sechs bis sieben Joints am Tag waren mein Standard. Geholfen hat es mir nicht. Im Gegenteil, es hat meine Situation verschlimmert.
Ich bin in den Vorlesungen teilweise erst gegen 13 Uhr aufgewacht, weil ich noch zu verklatscht vom Joint am Abend war oder bereits einen geraucht hatte. Das führte nicht gerade dazu, dass ich den Stoff besser verstand. Warum ich überhaupt so viel gekifft habe, erzähle ich ein anderes Mal.
Cannabis ist eine Droge die sich auf dein Bewusstsein und deine Psyche auswirkt. Vor allem wenn du psychisch labil bist, solltest du lieber die Finger davon lassen. Wenn du Probleme mit dem Konsum hast, hol dir Hilfe.
Eskalation und Urlaubssemester
Zurück zur Frage “Wofür mache ich das überhaupt?”. Ich hatte keine Antwort darauf. Weder Jobaussichten, die mich reizen würden, noch die Studieninhalte waren Gründe, die dieses Studium für mich sinnvoll gemacht hätten. Zusammenfassend war ich also: überfordert, dauergestresst, demotiviert, drogenabhängig und vollkommen ziellos. Das machte mein Körper eineinhalb Jahre mit. Bis ich die Quittung für mein Verhalten bekam: Panikattacken. Ich landete in der Notaufnahme und kurze Zeit später fand ich mich, während meiner Semesterferien, in einer Tagesklinik wieder. Mir wurde klar: Ich muss etwas ändern.
Die Zeit in der Klinik half mir, ein Stück zu mir zurück zu finden und ich fasste den Entschluss, ein Urlaubssemester einzulegen. Gesagt, getan. Ich bewarb mich noch in der Klinik auf Praktikumsstellen in Online-Redaktionen. Ich wollte wissen, ob Journalismus nicht nur ein Traum ist, sondern wirklich etwas für mich sein könnte.
Studium abbrechen – Byebye Uni
Nach nur zwei Wochen bei meiner ersten Stelle war klar für mich, dass es das ist, was ich wirklich machen will. Bei meinem zweiten Praktikumsplatz hatte ich das große Glück, übernommen zu werden. Dementsprechend viel mir die Exmatrikulation null schwer. Als ich die Bestätigung im Briefkasten hatte, habe ich mich so frei gefühlt, wie lange nicht mehr. Auch wenn das bedeutet, dass ich wahrscheinlich nie ein abgeschlossenes Studium in meinen Lebenslauf schreiben kann, habe ich selten eine bessere Entscheidung getroffen.
Frei davon, was meine Eltern gut für mich fänden, frei davon, was die Gesellschaft davon halten könnte. Einzig und allein meine Wünsche und mein Wohlbefinden haben eine Rolle gespielt. Ich habe mich dazu entschieden, meine Zeit nicht für etwas zu verschwenden, das mich unglücklich macht, sondern meine Kraft und Liebe in Dinge zu investieren, die mir gut tun.
Wenn du dich also in einer ähnlichen Situation befindest, glaube mir, es lohnt sich, ins kalte Wasser zu springen und etwas zu riskieren. Du kannst nur gewinnen.
Hi Anna,
Ich find es toll wie authentisch und ehrlich du geschrieben hast! Super, dass sich Leute trauen öffentlich das zu sagen, was möglicherweise vielen Studenten so geht.
Und Glückwunsch zu deiner offensichtlich richtigen Entscheidung 🙂
Liebe Grüße,
Gianna
Danke für dein tolles Feedback!! 💛 Bereue es tatsächlich keinen einzigen Tag und das fühlt sich, weil selbst gewählt, einfach richtig richtig gut an! Genauso freue ich mich für jede Person, die das genaue Gegenteil im Studium erlebt und hab großen Respekt vor denen die es durchziehen, obwohl es ihnen damit nicht gut geht.
Hab noch einen schönen Sonntag!