Rückfall heißt nicht Rückschritt – wenn die Symptome wiederkommen

Ich habe eine Weile gebraucht um zu akzeptieren, dass ich einen Rückfall habe. Als meine Therapie im März 2020 dem Ende zuging, ging es mir gut. Nach über zwei Jahren intensiver Arbeit an mir selbst fühlte ich mich gestärkt und war sehr bei mir. Nicht austherapiert, aber das war und ist auch nicht mein Anspruch an eine Therapie. 

// Triggerwarnung: In diesem Text geht es unter anderem um Angststörung, Essstörung und Selbstverletzung. Wenn du damit Probleme hast, solltest du diesen Text nicht lesen oder dabei nicht alleine sein. //

Dann kam Corona und damit meine Arbeitslosigkeit und der erste Lockdown. Zwei Erlebnisse, die für sich allein schon anstrengend genug sind – in der Kombi aber eine Nummer zu viel, jedenfalls für mich.

Kein Therapieende ist einfach, auch ohne Pandemie

In meinen letzten Therapiestunden verlor ich immer mehr das Gefühl von Stabilität, weil mir bewusst wurde, dass ich ab Mai wieder „alleine“ für mich sorgen müsste und ich auf einmal in einer Situation war, die ich absolut nicht kannte und die mir große Angst gemacht hat. 

Ich hätte die Option gehabt, die Therapie nochmal um zehn Stunden zu verlängern, entschied mich aber dagegen. Von meinen letzten Therapien wusste ich, dass mir ein klares Ende hilft, auch wenn es mir schwer fällt und ich so oder so nicht „für immer“ mit der Therapie weitermachen kann. 

Entspannung oder Trugschluss?

Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, was ich gelernt hatte und abgesehen davon freute ich mich nach diesen zwei Jahren auch mal wieder auf eine Pause. Denn es ist auch einfach wirklich anstrengend, sich einmal pro Woche intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen. 

 „Doch was ich am Anfang als positiv erlebt habe, äußert sich jetzt negativ. Denn im Prinzip bin ich vor allem einfach meiner Angst- und Essstörung auf den Leim gegangen.“

So hart die Zeit war, so angenehm war sie auch. Der Lockdown und die Einschränkungen haben mir bis Anfang diesen Jahres nicht wirklich etwas ausgemacht. Also klar hätte ich gerne ohne Einschränkungen meine Freund*innen und meine Familie gesehen und nicht jedes Mal ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich mehr als eine Person gesehen habe, aber die Entschleunigung und auf weniger Hochzeiten zu tanzen hat mir sehr gut getan.

Doch was ich am Anfang als positiv erlebt habe, äußert sich jetzt negativ. Denn im Prinzip bin ich vor allem einfach meiner Angst- und Essstörung auf den Leim gegangen. 

Vermeidung macht es schlimmer

Vermeidung ist ein großer Faktor, warum diese Krankheiten aufrecht erhalten werden. Wenn ich Situationen vermeide, in denen ich mich meinen Ängsten stellen und sie durchleben muss, vermeide ich auch das Gefühl, was sich danach einstellt. Das Gefühl, dass meine Ängste vor allem in meiner Vorstellung existieren und nach einer Angstattacke klar wird, dass es keinen rationalen Grund für sie gibt, bleibt aus. 

 „Sicherlich ist es auch mal gut eine Pause von so viel Druck zu haben, aber über ein Jahr ist dann doch ein bisschen viel und genau das äußert sich jetzt.“

Aber weil das eben auch anstrengend ist und Kraft raubt, freuen sich die Ängste natürlich über jede Möglichkeit der Vermeidung. Und was könnte eine bessere Ausrede sein, als eine fucking Pandemie, in der wir alle darauf angewiesen sind, zuhause zu bleiben. Jackpot! Sicherlich ist es auch mal gut, eine Pause von dem Druck zu haben, den ich mir mache, aber über ein Jahr ausweichen ist dann doch ein bisschen viel und genau das äußert sich jetzt.

Die Auswirkungen

Ich habe wieder vermehrt mit Angstzuständen zu kämpfen, die sich vor allem in der Angst vorm Tod äußern. Dabei ist egal, ob es um meinen eigenen oder den von Freund*innen und Familie geht. Außerdem fällt es mir unglaublich schwer, das Haus zu verlassen, vor allem jetzt, wo es wieder wärmer wird und die Klamotten kürzer. Das bedeutet für mich, dass ich mich nicht mehr unter Lagen von Kleidung verstecken kann und mein Körper auf einmal wieder viel offensichtlicher bewertet werden kann.

Bild von einem abgedunkelten Schlafzimmer. Aus dem Artikel: Rückfall ist kein Rückschritt
Im Sommer verkrieche ich mich am liebsten den Tag über drinnen. Sobald es dunkler und kühler wird und ich längere Kleidung tragen kann, traue ich mich wieder raus. © Nathan DeFiesta / Unsplash

Das geht mittlerweile leider so weit, das es mich ernsthaft in meinem Alltag einschränkt. Vor kurzem musste ich fast einen Spaziergang abbrechen, weil ich mich so unwohl gefühlt habe, dass ich wieder das Bedürfnis hatte, meine Arme aufzukratzen, um Druck abzubauen.   

Ich bin nicht umgedreht und ich habe mir auch nicht die Arme aufgekratzt. Ich bin stehen geblieben, habe ein paar Mal tief geatmet und bin dann wieder langsam weiter gelaufen. So lange, bis ich mich entspannte – und darauf bin ich sehr stolz.

Rückfall = Versagen?

Ich hatte in den letzten Monaten häufig das Gefühl von Versagen. Versagen, weil ich wieder einen Rückfall in alte Muster habe, obwohl es mir doch schon so viel besser ging.

Ich habe lange gebraucht, um mich damit zu arrangieren und vor allem, um zu akzeptieren, dass ich einen Rückfall habe und dass es nichts mit Versagen zu tun hat. Denn abgesehen davon, dass dieses Wort überhaupt nichts im Kontext mit persönlicher Entwicklung zu suchen hat, hat sich der Schwierigkeitsgrad mit der Pandemie komplett geändert.

„Auch diese Zeit wird vorbei gehen und auch aus diesem Rückfall wird ein Fortschritt werden.“

Deshalb heißt Rückfall eben auch nicht Rückschritt. Denn ich kenne das Spiel und die Steuerung, brauche mit diesem erhöhten Schwierigkeitsgrad aber einfach länger, um voranzukommen. Auch wenn das heißt, dass ich das Level mehrmals starten muss – das gesamte Spiel muss ich nicht nochmal von vorne anfangen. Solange ich mir das bewusst mache und mir die Zeit dafür nehme, die es braucht, dauert es eben so lange, wie es dauert. 

Ich bin froh und dankbar, dass ich ein Umfeld habe, das sich um mich kümmert und auf mich aufpasst. © Dan Meyers / Unsplash

Das heißt auch, dass ich nett zu mir sein möchte und mich selbst um Verständnis und Geduld bitte. Denn auch diese Zeit wird vorbei gehen und auch aus diesem Rückfall wird ein Fortschritt werden. 

Ich habe diesen Text vor allem für mich selbst geschrieben, um mir Mut zu machen und mir wieder ins Gedächtnis zu rufen, wie weit ich schon gekommen bin. Aber wenn du diesen Text hier liest und dich irgendwo wiedergefunden hast, möchte ich dir gerne sagen: 

Du bist nicht alleine! Das ist eine beschissene, anstrengende Kackzeit, aber du bist nicht alleine! Sei nett zu dir und hol’ dir die Hilfe, die du brauchst um da durch zu kommen! Egal ob das Freund*innen, Familie oder Therapie sind. 

Telefonseelsorge: 0800-111 01 11 oder 0800-111 02 22 (www.telefonseelsorge.de) Bei akuter (Suizid-)Gefahr rufe direkt die 112 oder fahre selbst in die Notfall-Aufnahme einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Du kannst auch rund um die Uhr den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Tel.: 116 117 anrufen.

Titel: © Maxime Lebrun on Unsplash

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3 Gedanken zu „Rückfall heißt nicht Rückschritt – wenn die Symptome wiederkommen“

  1. Liebe Anna,
    vielen Dank für deine Offenheit und diesen Text. Denn ja: Rückfall heißt nicht Rückschritt! Das beschissenste an Krankheiten, wie Angststörungen, Depressionen und Co. ist meiner Erfahrung nach eben wirklich, dass sie „nie ganz weg sind“. Es geht mensch irgendwann besser, Therapien und Medikamente können langfristig helfen. Doch die Scham, Frustration und Enttäuschung, die ich bei meinen ersten Rückfällen empfand, war groß und verstärkte die Symptome stets.

    Ich dachte, es müsse mir nun endlich mal besser gehen! Ich habe doch gemacht, was mir gesagt wurde, habe mich an die Spielregeln gehalten, oder? Irgendwann ist es doch aber mal genug! Was habe ich falsch gemacht? Ich will mich nicht mein ganzes Leben immer wieder so fühlen.

    Vielleicht kennst du diese Gedanken? Ich musste lernen, diese Krankheiten zu akzeptieren, als etwas, dass mich dauerhaft begleitet, etwas, dass dauerhaft Kraft kostet. Das war nicht leicht, fühlte sich ein bisschen wie Kapitulation an. Aber es half. Ich arbeite nun beinahe täglich an den Krankheiten, denn Ausnahmesituationen, Veränderungen oder ganz normale Lebenumstände können durch sie erschwert werden. Auch nach mittlerweile 20 Jahren! Und das ist ok. Mittlerweile empfinde ich diese Umstände als einen Teil von mir, aber nicht mehr als etwas, dass mich komplett ausmacht. Jedenfalls nicht immer.

    Ich hoffe, das es dir bald besser geht.
    Und noch einmal: Danke.

    Übrigens hab ich diese Woche ein wirklich tolles Buch zum Thema gefunden. „Bin ich schon depressiv, oder ist das nich das Leben?“ von Till Raether.

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  2. Liebe Anna, es Bedarf sehr viel Mut um die eigenen Gefühle und Gedanken zu veröffentlichen. Leider sind solche Themen immer noch in unserer Gesellschaft tabu. Mit deinen offenen Worten stößt du mich (hoffentlich auch andere) zum Nachdenken an und machst anderen Betroffen*innen Mut. Ich hoffe das es dir schnell besser geht und die Veröffentlichung dir hilft weiter deinen Weg zu gehen. In einem Tempo das dir gut tut.
    Ich bin sehr stolz auf dich,
    Liebst Nathi

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